
Der Jahrhundertschritt
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© Hans Weingartz, CC BY-SA 2.0 DE, via Wikimedia Commons

»Die Plastik stammt aus dem Jahr 1984 und gilt als bekanntestes Werk des ostdeutschen Künstlers. Die Figur zeigt einen Mann mit einem fast verschwindend kleinen Kopf auf einem Rumpf, durch den ein deutlicher Riss geht. Der rechte Arm ist zum Hitlergruß erhoben, die linke Hand zur proletarischen Faust geballt. Mit den weit ausschreitenden Beinen, der rechte Fuß ist nackt und das linke Bein in Soldatenhose und -stiefel, sind alle vier Extremitäten so weit ausgestreckt, dass sie den Rumpf zu zerreißen scheinen. Symbolhaft verkörpert die Figur die politischen und gesellschaftlichen Widersprüche des 20. Jahrhunderts. Es geht um den Gegensatz von Faschismus und Sozialismus und die parallele Barbarei der totalitären Weltanschauungen mit ihren körperlichen und seelischen Konsequenzen für die Menschen nicht nur in Deutschland. Mattheuer machte selbst als Soldat der Wehrmacht und als Kriegsgefangener der Roten Armee Erfahrungen mit beiden Diktaturen. Doch beschäftigte ihn auch die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit in der DDR. Das Schwanken zwischen Hoffnung und Zweifel, Widerstand und Resignation machte er zum Hauptgegenstand seiner Kunst. Der viel zu kleine, fast vollständig eingezogene und daher kaum sichtbare Kopf verweist auf die Abwesenheit von Intellekt und einer geistigen Mitte. Das fehlende individuelle Denken und Handeln in totalitären Staaten findet darin ebenfalls Ausdruck. Der eingezogene Kopf steht außerdem für die Angst, die eigene Meinung zu sagen, die Angst, frei zu denken und zu handeln, im Kommunismus wie im Faschismus. Vor dem Haus der Geschichte wirkt die Plastik wie ein Mahnmal und erscheint wie die Manifestation des politischen Auftrags und der Ziele der Institution.«
(BMVBS-Online-Publikation 25/2012, S. 497)
BMVBS (Hrsg.): Kurzdokumentation von 200 Kunst-am-Bau-Werken im Auftrag des Bundes seit 1950. BMVBS-Online-Publikation 25/2012.
Weingartz, Hans: Von der Liegenden mit Kind bis Mother Earth. Kunstwerke im öffentlichen Raum von Bonn - 1950 bis heute. Bonn 2022.
Weitere Kunstwerke im Stadtteil Gronau
